Plötzlich Heimweh

Das Wort Heimweh und den dazugehörigen Schmerz habe sie früher nicht gekannt, erzählte die Chinesin Yu Hao auf der Bühne der Solothurner Filmtage. Doch inzwischen kennt sie das Gefühl – ausgerechnet die Schweiz, genauer: das Appenzell hat es in ihr geweckt. Früher reiste sie als Fernseh-Reporterin und -Produzentin für verschiedene chinesische Sender um die Welt. Einen Tag hier, eine Woche dort – ohne je Wurzeln zu schlagen. Bei dieser Arbeit lernte sie den gebürtigen Appenzeller Ernst Hohl kennen, sie verliebte sich und wollte seine Heimat kennenlernen. 

Ohne jeglichen Deutsch-Kenntnisse war das nicht gerade einfach. Yu Hao fand einen idealen Weg. Sie sah die Welt durch den Sucher ihrer Kamera, filmte alles und jedes und konnte als stille Beobachterin ihre Wortlosigkeit kaschieren. Die Schubladen füllten sich mit Filmmaterial – und irgendwann beschloss sie, das Material zu sichten und zu einem Dokumentarfilm zu schneiden. 

Es ist ein schöner, ein anrührender Film geworden. Einer, der auch uns das Appenzell mit seinen urtümlichen Bräuchen und seiner urtümlichen Landschaft näher bringt. Wenn Yu Hao den Bauern Johann auf seinem einsamen Gehöft besucht, ihm beim Senntum-Malen über die Schulter schaut und beeindruckt seinem Örgelispiel lauscht, können  wir dessen archaische Lebensform nachvollziehen. Wenn sie die Silvesterkläuse durch den Schnee begleitet und den Appenzeller Bub auf die Alp, begreifen wir etwas von der Verwurzelung dieser Menschen mit ihrer Landschaft. Und wenn sie die betenden Trachtenfrauen mit ihren gestärkten Hauben zeigt und sich dann an ihre ebenfalls oft betende Grossmutter in China erinnert, dann fühlen wir die Gemeinsamkeit von Menschen trotz riesigen Entfernungen und verschiedener Lebensart. 

Yu Hao sehnte sich nach Zugehörigkeit. Sie hat sie im Appenzell gefunden. Ihr Film zeigt: Heimat muss nicht immer dort sein, wo man hineingeboren worden ist. Sondern dort, wo man sich akzeptiert und angenommen fühlt. 

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