Die eiskalte Revolution des Schweizer Trotzkisten Hans Stierlin.

Heute muss ein Kühlschrank viel mehr können, als nur Lebensmittel frischhalten. Designansprüche sind genauso wichtig wie Energieeffizienz und smarte Funktionen. Längst ist der Kühlschrank schlicht und einfach zum Lifestyle-Objekt avanciert. Ein gutes Beispiel ist der Weinkühler, der heute als Statussymbol in der Küche Aufsehen erregt. Die Geschichte des coolen Küchenhelfers in der Schweiz ist lang, revolutionär und aussergewöhnlich spannend. Ein Blick in die 40er-Jahre, Schauplatz Schweiz. «Ein Kühlschrank für jedermann» war die Vision des ungewöhnlichen Schweizer Unternehmers Hans Stierlin. Damals erachteten die meisten Menschen dieses Szenario als unwahrscheinlich, war das Kühlgerät doch ein unerschwingliches Luxusprodukt. Doch schon einige Jahre später wurde die Vision in der Schweiz Realität. 1950 besassen 10,5 Prozent und 1965 bereits 81 Prozent aller Haushalte einen Kühlschrank. Doch nicht genug der Anerkennung: Seit 1974 gehört der Kühlschrank in der Schweiz zum Existenzminimum und darf im Fall eines Privatkonkurses nicht gepfändet werden. Der Kühlschrank wurde, wie eine Beobachter-Studie aus den 50er- und 60er-Jahren zeigt, zu einem Indikator des Wohlstandes in einer Zeit, als die Konsumgewohnheiten und der Lebensstandard der einfachen Bevölkerung vermehrt auf öffentliches Interesse stiess. Innert weniger Jahre also wurde der Kühlschrank in der Schweiz vom Luxus- zum Alltagsgut.

«Ein Kühlschrank für jedermann» war die Vision des ungewöhnlichen Schweizer Unternehmers Hans Stierlin.

Während gut 40 Jahren war «SIBIR» gleichgesetzt mit lautlosen Kühlgeräten in Schweizer Haushalten. Diese «eiskalte Revolution» im Haushalt fand in allen westeuropäischen Staaten zur gleichen Zeit statt, was dazu führte, dass der Kühlschrank in der Geschichtsschreibung zu einer Art Symbol der Nachkriegszeit wurde. Er galt als Inbegriff der goldenen Jahre, des wirtschaftlichen Aufschwungs zwischen Ende des Zweiten Weltkrieges und der Wirtschaftskrise 1975. Aber zurück zum Schweizer Unternehmer Hans Stierlin – dem Gründer und langjährigen Geschäftsführer der grossen Kühlschrankfirma Sibir: Der Maschineningenieur ETH war ein trotzkistischer Unternehmer, führte die 40-Stunden-Woche ein und beteiligte seine Belegschaft am Gewinn. Einheitslohn war für den Unternehmer selbstverständlich. Hans Stierlin führte ein Unternehmen, das zu den schweizweit ersten gehörte, die auf Massenproduktion und Fliessbandarbeit nach for- distischem Vorbild arbeiteten und generierte so jährlich Millionen von Franken – gleichzeitig vertrat er aber antikapitalistische Positionen. «Er musste als Unternehmer nicht nur den Regeln des kapitalistischen Marktes folgen, sondern reproduzierte diese – doch eigentlich befürwortete der engagierte Trotzkist die Planwirtschaft», schreibt Nicolas Hermann 2019 in seiner Masterarbeit für die philosophische Fakultät der Uni Zürich. In einem Interview des Schweizer Fernsehens wurde Hans Stierlin 1993 gefragt, ob er denn Kommunist sei? «Wenn die Leute der Ansicht sind, dass anständige Löhne und anständige Arbeitsbedingungen Kommunismus sind, ja dann bin ich halt ein Kommunist.» Hans Stierlin hatte eine klare Ideologie, eine tiefe Vision und viel unternehmerisches Geschick. Wie erwähnt, «Ein Kühlschrank für jedermann!» lautete in den späten 40er- Jahren die Mission des Jungunternehmers und war sogleich der Werbeslogan der von ihm gegründeten Kühlapparate GmbH. Stierlin optimierte als junger Mann das sogenannte Absorptionsverfahren und entwickelte unter dem Namen SIBIR einen kleinen, herstellungsgünstigen Kühlschrank, der mit 295 Franken in den 50er-Jahren nur halb so viel kostete, wie die günstigsten auf dem Markt. Der SIBIR Kühlschrank war zudem auch deutlich grösser als die Konkurrenzprodukte. Schon wenige Jahre nach der Firmengründung im Jahr 1944 stiess dieser kleine «Volkskühlschrank» mit 40 Litern Fassungsvermögen auf grosse Nachfrage. SIBIR produziert in den frühen 50er-Jahren neue, immer grössere Kühlschrank-Modelle und war in den 60ern führend im Schweizer Kühlschrankmarkt. Durch die Innovation eines qualitativ hochwertigen, aber günstigen Kühlschrankes trug Hans Stierlin mit Sitz in Schlieren zum Aufstieg des Kühlschrankes in der Schweiz und auch im Ausland bei. «Zwischen 1950 und 1980 verkaufte die Firma total rund 1,4 Millionen Kühlschränke, davon wurde etwa ein Drittel ins Ausland exportiert», hält Nicolas Hermann in seiner Publikation fest. Dazu kamen unzählige Geräte, welche ausländische Lizenzträgerinnen oder Schwesterfirmen in Grossbritannien, Deutschland und Belgien verkauften. Die Mar- ke SIBIR war in der Schweiz so bekannt, dass sie gar als Synonym für das Wort «Kühlschrank» verwendet wurde. Auch das SIBIR-Marketing in den 60er Jahren sorgte für Aufsehen. Der Werbefilm «Das gewürfelte Tuch» aus dem Jahr 1957 wartete mit Starbesetzung auf.

«I nimme aus zrügg, aber setzet mer dä Apparat wieder zäme».

Stephanie Glaser spielt die Hausfrau, Frau Meier, die einen SIBIR-Service-Mann zu sich bestellt, weil ihr neuer SIBIR-Kühlschrank angeblich kaputt sei. Aufgebracht beschwert sie sich über Sibir und sagt: «Hätti doch dä Jammerchaschte nie kouft». Der Mann zündet sich im Film genüsslich eine Zigarette an, nimmt ein gewürfeltes Tuch vom Kühlschrank und verkündet: «Scho gflickt!». Er erklärt der verdutzten Frau, dass der Kühlschrank Luft brauche, um zu kühlen und dies das Tuch auf dem Gerät verunmöglicht. Aber der Werbespot ist hier noch nicht zu Ende: Der Service-Mann beschliesst nun, die Hausfrau für ihre kritische Äusserung über SIBIR zu bestrafen und zaubert den Kühlschrank zurück in die Fabrik, wo der Apparat durch rückwärtslaufende Maschinen wieder in seine Einzelteile zerlegt wird. Dieser Prozess wird begleitet von demütigen Zwischenrufen der Frau: «Höret uf, i mues mi SIBIR wieder ha», «I nimme aus zrügg, aber setzet mer dä Apparat wieder zäme». Der Mann akzeptiert schlussendlich die Entschuldigung und lässt den Kühlschrank wieder zusammensetzen – und zwar «Volldampf» – weil die Frau gerade auf die Uhr geschaut und schockiert festgestellt hat, dass ihr Mann in wenigen Minuten nach Hause kommt. Mit der glücklichen Rückkehr der Frau in die Küche und einem wieder funktionstüchtigen Kühlschrank endet der Film. Aber nicht die Geschichte des Kühlschranks und die von SIBIR.

 

noch keine Kommentare

Beitrag kommentieren

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht